Der affe in uns
Autor: avb, Datum: 02.05.2006
"The Inner Ape - A Leading Primatologist Explains Why We Are
Who We Are" von dem weltberühmtem Affenforscher Frans de Waal
ist 2005 in den USA erschienen (und mir leider erst jetzt aufgefallen).
Glücklicherweise bringt es der Hanser-Verlag im August 2006 auf
deutsch heraus. Unter dem Titel "Der Affe in uns". Ich
stelle Ihnen trotzdem schon mal die englische Ausgabe vor, weil
ich das Buch als Sensation empfinde - für alle mit auch nur
dem gerinsten Interesse an Evolution, Management, Psychologie,
Firmenhierarchie, Soziologie, glücklichen Ehen, Kindererziehung
oder Politik, denn:
Frans de Waal vergleicht zwei Menschenaffenfamilien - die
kriegerischen-aggressiven-mörderischen Schimpansen und die sexbesssenes,
friedlichen Bonobs. Beide gehören zu unseren direkten tierischen
Vorfahren, mit beiden haben wir rund 98 % unserer Gene gemein. Von
beiden lernten wir unser Verhalten als der dritte Menschenaffen-Stamm.
Und Frans de Waal belegt.
Wir lernten nicht nur die Jagd und Kriege zu führen, durch enge
Kooperation unter den Männchen. Von den Bonobas haben wir
auch unseren Sinn für Gerechtigkeit und Fairness, unsere Empathie
für andere, die Fähigkeit, sich nach einem Streit wieder zu versöhnen
und Mitleid mit Schwächeren.
Diese Eigenschaften haben auch die Schimpansen. Sichtbarer ist allerdings
ihre aggressive Seite, denn ihre Horden werden von Männern beherrscht,
die ständig um die Macht kämpfen müssen. Wie Topmanager. Außer sie
bauen sich ein Netz an "Beziehungen", an Freundschaften
auf. Vielleicht gehen deshalb so viele Biologen heute noch davon
aus, dass Menschen - alles in allem - so grausam sind wie diese
Menschenaffenart (schließlich wird in den Medien ja auch mehr über
Firmenkräche, Gangmorde und Kriege berichtet als über all jene Unternehmen,
Stadtviertel und Weltgegenden, in denen es friedlich zugeht).
Bonobos, zierlicher, menschenähnlicher als Schimpansen, haben sich
in eine andere Richtung entwickelt. In ihren Horden gibt es viel
seltener Streit, und ein Mord ist bei ihnen - im Gegensatz zu den
Schimpansen - noch nie beobachtet worden. Sie jagen auch keine anderen
Affen, vertragen sich mit Nachbarhorden statt sich mit ihnen zu
prügeln (nicht nur Klauen und Zähnen, sondern auch mit schweren
Steinen und Prügeln!), schließen sogar über die Reviergrenzen hinweg
Freundschaften. Sie werden im Gegensatz zu Schimpansen erst seit
wenigen Jahrzehnten beobachtet, aber sie widerlegen alles, was Menschen
bisher über die eigene Aggressivität zu wissen glaubten. Bonobos
zeigen:
Man kann auch friedlich zusammenleben, zumindest solange genügend
Futter für alle da ist. Und, so sagt Frans de Waal, die Geschichte
der Menschheit beweist, dass wir das die meiste Zeit auch getan
haben und weiterhin tun werden. Nicht Krieg war unser Schicksal
seit unsere Urahnen Afrika verließen, sondern Frieden. Nicht nur
solange die Erde so dünn besiedelt war wie vor 10.000 Jahren, als
wir die Landwirtschaft erfanden und selten auf andere Horden trafen,
sondern heute noch. Die Mehrheit der 6 Milliarden modernen Menschen
lebt ja tatsächlich einigermaßen friedlich miteinander.
Der Grund laut Frans de Waal: Wir haben beide Eigenschaften unserer
Affenahnen - die Aggressivität, aber auch die Fähigkeit zur Versöhnung,
zum Friedenstiften, zum Lieben. Bonobos benützen dazu Sex in jeder
denkbaren Variante und überlassen die Herrschaft in erster Linie
den Frauen. Schimpansen kraulen sich gegenseitig das Fell, auch
wenn gerade ein harter Diktator an der Spitze steht (immer ein Männchen).
Beides hilft, und beides machen wir den Affen nach, denn - um im
öffentlichen Bereich zu bleiben - Händeschütteln nach einem Kampf,
das gemeinsame Essen und Trinken nach einem Friedensschluss zwischen
Völkern oder dem Zusamenschluss zweier Firmen ist nur eine Weiterentwicklung
des Kraulens.
Das Schöne an Frans de Waals "innerem Affen": Das Buch
liest sich wie ein Unterhaltungsroman, spannend, komisch, anrührend,
fesselnd. Der Forscher beschreibt seine Affenbeobachtung und Forschungsergebnisse
so locker, als ob er auf einer Party darüber spräche. Totzdem stellt
er das ganze alte Weltbild vom grausamen Menschen auf den Kopf.
Sehr tröstlich, und wie ich hoffe: sehr trendy!!!